Im Interview mit der Funke-Mediengruppe spricht Michael Kretschmer Klartext.
Als die Mauer fiel, waren Sie 14 Jahre alt. Welche Erinnerung haben Sie an diese Zeit?
Wir waren eine Gruppe von jungen Leuten, die 1989 konfirmiert wurden und auch zu den Friedensgebeten gegangen sind. Das war eine unglaublich aufregende Zeit. Wir haben gemerkt, es kommt vieles ins Wanken und löst sich immer mehr auf. Und dieser traurige, peinliche Günter Schabowski, der mit seiner Pressekonferenz aus Versehen die Grenze öffnete, war der Höhepunkt. Da hat jeder gemerkt: Ernst nehmen kann man diese Leute nicht mehr. Es waren auch Zeiten von großer Unsicherheit und großer Sorge. Trotzdem war da so eine Zukunftsgewandtheit. Die wünsche ich mir jetzt auch.
Was meinen Sie damit?
Die Deutschen in Ost und West sind zusammengewachsen, haben drei Jahrzehnte erfolgreicher gemeinsamer Geschichte. Wir haben eine ostdeutsche Bundeskanzlerin, sind Fußball-Weltmeister geworden. Und jetzt fangen auf einmal diese Diskussionen an über Deutsche erster und zweiter Klasse oder darüber, was noch nicht erreicht worden ist. Linke und AfD versuchen, alles mies zu machen. Ich sage: Kommt, lasst uns mit Schwung nach vorn gehen.
Wenn die Einheit eine Erfolgsgeschichte ist - warum wenden sich dann gerade im Osten so viele Bürger von den Volksparteien ab und den politischen Rändern zu?
Es gibt Menschen in den neuen Ländern, die sich nicht richtig mitgenommen fühlen. Sie vermissen Wertschätzung für ihren Lebensweg und ihre Leistungen. Und sie vermissen eine handlungsfähige Regierung in Berlin. Die Grundrente ist versprochen worden, und es wird höchste Zeit, dass sie kommt. Es geht aber auch um ganz Grundsätzliches. Deutschland kann mehr.
Was fordern Sie?
Der Staat muss sich zurücknehmen. Wenn 1990 schon so viel reguliert gewesen wäre wie heute, dann wären wir nicht so weit gekommen. Unsere Aufgabe besteht darin, Deutschland eine neue Dynamik zu verleihen. Das geht nur mit Innovation und Freiheit. Wir müssen alle staatlichen Regulierungen auf den Prüfstand stellen. Das fängt an beim Arbeitszeitgesetz. Starre tägliche Höchstarbeitszeiten entsprechen nicht der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts. Bürokratie und Vorschriften lähmen das Handwerk und den Mittelstand.